intraoperative Aufklärungspflicht

intraoperative Aufklärungspflicht

Die intraoperative Aufklärungspflicht war Gegenstand eines Urteils des OLG Hamm vom 07.12.2016 – 3 U 122/15. Nach Ansicht des Gerichts trifft die Operateure eine erneute Aufklärungspflicht, wenn sich in einer Operation eine neue Situation ergibt, die eine Veränderung des operativen Eingriffs erfordert.

Das Problem

§ 630e BGB verpflichtet den Behandler zur umfassenden Aufklärung seiner Patienten. Davon umfasst sind insbesondere Art, Umfang sowie Durchführung der Maßnahme bzw. des Eingriffs, wie auch zu erwartende Folgen und Risiken, Notwendigkeit, Dringlichkeit etc. Auf alternative Behandlungsmethoden muss der Behandler in der Regel hinweisen. Zwar ist die Wahl der Behandlungsmethode rgundsätzlich Sache des Behandlers, allerdings ist in Abwägung mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Aufklärung über Behandlungsalternativen gefordert, wenn mehrere gleichwertige Behandlungsmethoden zur Wahl stehen, die unterschiedliche Eingriffsintensität und Risiken mit sich bringen (vgl. BGH Beschluss vom 17.12.2013 – VI ZR 230/12).

Problematisch ist es teilweise, diesem Erfordernis während einer laufenden Operation zu genügen. Fraglos darf die Aufklärung des Patienten keinen vorhersehbaren Gesundheitsschaden verursachen. Ein Abbruch der Operation kann aber gefordert werden, wenn dieser ohne weitergehendes Risiko für den Patienten möglich ist. Zu Bedenken ist hierbei, dass dem Patienten eine gewisse Bedenkzeit (ausser in akuten Notsituationen und Lebensgefahr) zum weiteren Vorgehen nach der Aufklärung einzuräumen ist.

Die Entscheidung

Ein 2004 geborenes Kind litt an einer schweren Nierenerkrankung, weshalb die Nierenfunktion nur noch 22% betrug. Im Jahr 2013 wurde eine Operation der Nieren durchgeführt. Im Vorfeld wurde den Eltern des klagenden Kindes der Eingriff erläutert, diese aufgeklärt und auch eine Bedenkzeit eingeräumt.

Ziel der Operation war es im konkreten Fall, die Abflussverhältnisse des Harns zu verbessern, indem eine neue Verbindung zwischen Nierenbecken und Harnleiter hergestellt wird. Während der Operation zeigte sich jedoch, dass der geplante Operationsweg aufgrund anatomische Gegebenheiten nicht möglich war. Der verantwortliche Operateur unterbrach die Operation und empfahl den Eltern die sofortige Entfernung der linken Niere. Die Eltern stimmten zu.

Der Kläger beanstandete vor Gericht nunmehr die Entfernung der linken Niere und machte Aufklärungsmängel geltend. Er hat teilweise Erfolg und erhält ein Schmerzensgeld von 12.500,00 € zuerkannt.

Das Gericht begründet die Entscheidung damit, dass die Operateure zutreffend erkannt hätten, dass die veränderte Situation eine neue Aufklärung erforderlich mache. Es legt ihnen jedoch eine Verletzung der intraoperativen Aufklärungspflicht zur Last. Die Aufklärung ist nicht ordnungsgemäß erfolgt, da die Operateure die Nierenentfernung als alternativlos dargestellt hätten. Der vom gericht hinzugezogene medizinische Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass es alternaitve Möglichkeiten gegeben hätte. Die Operation hätte nierenerhaltend beendet werden und in der Folgezeit eine neue Überlegung mit den Eltern stattfinden können, wie die Behandlung bei nunmehr bekannten anatomischen Verhältnissen erfolgen könne.

Wesentlicher Ansatzpunkt des Gerichts war, dass die Eltern in der Situation vor der Operation die Entscheidung gegen eine Nierenentfernung trafen, nachdem ein niedergelassener Urologe die Eltern aufgeklärt hatte. Eine hypothetische Einwilligung der Eltern – die durchaus möglich gewesen wäre – käme hier nicht in Betracht, da sich die Eltern bei der umfassenden Aufklärung seitens der Operateure dann in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätten. Die Wahl der Übergangsmöglichkeit statt der Nierenentfernung sei hier durchaus naheliegend.

Fazit

Die Verletzung der Aufklärungspflicht führt nicht immer zu einem Schadenersatzanspruch, denn es bedarf neben der fehlerhaften Aufklärung noch eines Entscheidungskonfliktes des Patienten. gerade in der Operationssituation ist eine sachgerechten Entscheidung zur Aufklärungspflicht wesentlich aber auch schwierig. Einerseits ist dem Operateur anzuraten, schon im Vorfeld etwaige Entscheidungskonflikte der Patienten bzw. der Eltern abzuklären. Des Weiteren sollte aber auch während der Operation stets abgewogen werden, ob ein Abbruch der Operation möglich und medizinisch vertretbar ist. Der Patient soll nicht zum Opfer der intraoperativen Aufklärungspflicht werden, indem er dem Risiko erheblicher Gesundheitsschäden durch den Operationsabbruch ausgesetzt wird. Allerdings darf auch die Operationssituation nicht das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in den Hintergrund treten lassen. Die Entscheidung des OLG Hamm ist unter diesen Gesichtspunkten und unter Abwägung der Argumente für die Behandlerseite und für die Patientenseite, als richtig zu bewerten.