Haftung im Hausnotruf

Haftung im Hausnotruf

Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 11.05.2017, Az. III ZR 92/16 befasst sich mit der Frage, welche Pflichten der Dienstanbieter im Hausnotruf zu erfüllen hat, sowie mit der Frage der Haftung für Pflichtverletzungen aus dem Hausnotrufvertrag.

Hausnotruf ist eine Dienstleistung, die es im Alter und/oder bei gesundheitlicher Einschränkung ermöglichen soll, ein möglichst selbständiges Leben zu führen und dennoch jederzeit kurzfristig Hilfe in Notsituationen zu erhalten. In der Regel trägt der Kunde einen Funkknopf bei sich, mit dem innerhalb der Wohnung/des Hauses ein Alarm ausgelöst werden kann, der eine Sprechverbindung mit dem Dienstleister bzw. dessen Hausnotrufzentrale aufbaut und von dort weiter bearbeitet wird. So es erforderlich ist, wird durch den Dienstleister die notwendige Hilfe zum Kunden entsandt. Welche konkrete Hilfe entsandt wird, können Kunde und Dienstleister individuell vereinbaren und muss vom Mitarbeiter in der Hausnotrufzentrale am konkreten Einzelfall entschieden werden. In der Regel wird beim Dienstleister ein Schlüssel zur Wohnung des Kunden hinterlegt, um im Notfall auch zum Kunden gelangen zu können.

Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshof war die Einschätzung des Mitarbeiters, der den Notruf annahm sowie die weitere Entscheidung der Hilfskräfte vor Ort, welche in Kummulation letztlich zu einer Haftung führen.

Der Fall

Der Kunde lebte alleine in einer Wohnanlage für Senioren und hatte neben multiplen Vorerkrankungen, ein erhöhtes Risiko einen Schlaganfall (Apoplex) zu erleiden. Mit der Beklagten, einer caritativen Hilfsorganisation, hatte der Kunde einen Hausnotrufvertrag geschlossen.

Im April 2012 betätigte der Kunde den Alarmknopf, wobei der Mitarbeiter des Dienstleisters lediglich ein Stöhnen vernahm. Es gelang dem Mitarbeiter des Dienstleisters nicht, den Kunden telefonisch zu erreichen. Der Mitarbeiter entsandte daraufhin Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes zur Wohnung des Kunden. Der Kunde lag bei Eintreffen der Mitarbeiter auf dem Boden und konnte nur durch zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes auf das Sofa gesetzt werden. Näheres zu den Umständen vor Ort ist derzeit nicht bekannt. Dort lies man den Kunden sodan zurück, ohne weitere Maßnahmen einzuleiten.

Wenige Tage nach diesem Vorfall wurde der Kunde von einem Pflegedienst erneut in der Wohnung liegend vorgefunden. Die Pflegekraft stellte eine Halbseitenlähmung und eine Sprachstörung beim Kunden fest und veranlasste die Einlieferung in ein Krankenhaus. Dort wurde ein Schlaganfall festgestellt, der nach Einschätzung der Ärzte ca. ein bis drei Tage zurückliege.

Der Kunde warf dem Dienstleister vor, dass der Schlaganfall zum Zeitpunkt des Hausnotrufalarms eingetreten war und vom Dienstleister nicht nur der Sicherheitsdienst hätte entsandt werden müssen, sondern auch der Rettungsdienst. Weiter behauptet der Kunde, dass die gravierenden Folgen des Schlaganfalls vermieden worden wären, wäre der Rettungsdienst mitalarmiert worden.

Die Entscheidung

Der Kunde hatte in der ersten und zweiten Instanz keinen Erfolg mit seiner Klage gegen den Dienstleister. In der Revision hat der Bundesgerichtshof am 11.05.2017 allerdings entscheiden, dass der Dienstleister seine Pflichten aus dem Hausnotrufvertrag grob vernachlässigt habe. Es hätten sich im konkreten Fall bei der Bearbeitung des Hausnotruf-Alarms Hinweise auf das Vorliegen eines medizinischen Notfalls aufgedrängt. Es sei daher nicht ausreichend gewesen, lediglich in Erster-Hilfe ausgebildetes Personal zum Kunden zu entsenden, sondern es hätten medizinisch qualifizierte Fachkräfte eingesetzt werden müssen. Das Auslösen des Hausnotruf durch den Kunden, die fehlende Artikulationsmöglichkeit sowie die erhobenen Krankheitsdaten im Stammblatt des Dienstleisters hätten den Mitarbeiter zu weitergehender Hilfeleistung veranlassen müssen. Die tatsächliche Abarbeitung des Einsatzes stelle keine „angemessene Hilfeleistung“ im Sinne des Hausnotrufvertrages dar.

Aufgrund des groben Pflichtenverstoßes des Dienstleisters sie daher eine Beweislastumkehr zugunsten des Kunden gerechtfertigt, die dazu führt, dass nunmehr der Dienstleister nachzuweisen habe, dass die schwerwiegenden Folgen des Schlaganfalls bei rechtzeitiger Hinzuziehung von Rettungsfachpersonal nicht zu vermeiden gewesen wären. Zwar habe grundsätzlich der Geschädigte die Beweislast für die Pflichtverletzung, die Entsteheung eines Schadens sowie die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Der Bundesgerichtshof sieht im vorliegenden Fall jedoch eine mit den Grundsätzen der ärztlichen Behandlung vergleichbare Situation. Die Berufs- und Organisationspflichten des Dienstleisters seien mit den ärztlichen Berufs- und Organisationspflichten insoweit vergleichbar, soweit diese dem Schutz von Leben und Gesundheit dienen. Somit seien die Grundsätze zur Beweiserleichterung für den Geschädigten auch auf den konkreten Fall des Kunden anzuwenden.

Fazit

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist nicht sehr überraschend, soweit der BGH die Grundsätze zur Beweiserleichterung aus der ärztlichen Behandlung auch auf die medizinischen Dienstleistungen nicht-ärztlicher Gesundheitsdienstleister überträgt. Hier sind die Dienstleister gefordert, entsprechende Abläufe zu implementieren, um den Pflichten die der jeweiligen Dienstleistung immanent sind, gerecht zu werden. Der Einsatz eines Sicherheitsdienstes im Hausnotruf dürfte zwar grundsätzlich möglich sein, jedoch muss der Dienstleister für eine adäquate medizinische Ersteinschätzung durch sein eigenes wie auch das Personal des Sicherheitsdienstes sorgen.

Andererseits sollten die Dienstleister im Hausnotruf die vertraglichen Vereinbarungen mit den Kunden eingehend prüfen, inwieweit dort Verpflichtungen zur medizinischen Hilfe vereinbart sind. Die Werbung sollte selbstverständlich auch hieran ausgerichtet sein.

Im konkreten Fall wird noch zu hinterfragen sein, welche Pflichten der Sicherheitsdienst gegenüber dem Dienstleister übernommen hat und ob das Verhalten der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes korrekt war. Da die Entscheidung des Bundesgerichtshof noch nicht im Volltext vorliegt, bleibt abzuwarten, welche Details der Entscheidung weiter zu Grunde gelegt wurden.